Insel Wollin

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Abb. 1 Geographische Lage der Insel Wollin in Nordwest-Polen mit den Steilküstenabschnitten Gosań bei Misdroy an der Ostsee und Lubin am Stettiner Haff (verändert nach Gehrmann et al., 2014).
Abb. 2 Kliff von Gosań zwischen Misdroy und Grodno auf der Insel Wollin (Ostseeseite, Nordwest-Polen).
Abb. 3 Kliff von Lubin auf der Insel Wollin am Stettiner Haff (Nordwest-Polen).

„Vineta, Vineta, du rieke Stadt, Vineta sall unnergahn, wieldeß se het väl Böses dahn.
 [Vineta, Vineta, du reiche Stadt, Vineta soll untergehen, weil sie viel Böses getan hat.]

(aus der Vineta-Sage)

 

Dies waren der Sage nach, die letzten Worte der Wasserfrau, welche die Stadt Vineta durch eine riesige Welle verschlucken ließ. Vineta – eine Stadt voller Reichtum, Hochmut und Verschwendungssucht. Ob diese nun wirklich bei der heutigen Stadt Wollin in Nordwest-Polen unterging, ist bis heute historisch nicht geklärt. Aber vor 1.000 Jahren zählte die Stadt Wollin auf der gleichnamigen Insel noch zu den reichsten Städten- eine Wikingerstadt mit etwa 8.000 Bewohnern namens Julin, Jumne oder Jomsburg soll es gegeben haben.

 

„[…] da bietet die sehr berühmte Stadt Jumne für Barbaren und Griechen in weitem Umkreise einen vielbesuchten Treffpunkt […] Es ist wirklich die größte von allen Städten, die Europa birgt; in ihr wohnen Slawen mit anderen Stämmen, Griechen und Barbaren. Auch die Fremden aus Sachsen haben gleiches Niederlassungsrecht erhalten, wenn sie auch während ihres Aufenthaltes ihr Christentum nicht öffentlich bekennen dürfen. […] Die Stadt ist angefüllt mit Waren aller Völker des Nordens, nichts Begehrenswertes oder Seltenes fehlt.“

(Adam von Bremen, 1080)

 

Für das geomorphologische und geologische Verständnis spielt die Steilküste der Insel Wollin eine entscheidende Rolle. Steilküstenabschnitte findet man sowohl auf der Insel-Nordseite (Richtung Ostsee, z.B. Misdroy und Grodno), als auch auf ihrer Südseite (Richtung Stettiner Haff, z.B. Lubin) und sie schließen wichtige Geo-Archive auf, die die Rekonstruktion der Vereisungen während des Pleistozäns (2,6 Mio. bis 11.700 Jahre vor heute) ermöglichen (Abb. 1, 2 und 3).

 

Mit einer Länge von etwa 15 km ist die Steilküste Wollins Teil einer langen Klippenzone entlang der polnischen Küste (Subotowicz, 1982). Dabei stellt die Wollin-Endmoräne, eine durch die Auflast und Schubkraft von Gletschern geformte Erhebung, die markanteste Landform dar (Kostrzewski et al., 2015). In einer Arbeit von Krygowski (1959) wurde der sogenannte glazitektonische Charakter der Wollin-Endmoräne bestätigt. Das bedeutet, dass dieses Gebiet durch die gewaltige Schubkraft der südlichen Gletscherloben des Skandinavischen Eisschildes geformt wurde. Daneben gab es zahlreiche weitere Untersuchungen, wie zum Beispiel von Borówka et al. (1982, 1999) und Kostrzewski (1985), die sich mit der Altersabfolge der Gesteinsschichten des Gebiets beschäftigten. Sie beschrieben eine Serie aus zwei Till-Einheiten. In der Geologie versteht man Till als unsortiertes Gesteinsmaterial mit verschiedenen Korngrößen von Ton über Kies bis hin zu großen Gesteinsblöcken, welches vom Gletschereis abgelagert wurde. Den unteren Teil des Kliffs im Norden von Wollin (Misdroy, Grodno) bildet ein grauer Till, welcher mit der Vereisung im sogenannten Saale-Komplex vor etwa 300.000 bis 126.000 Jahren in Verbindung gebracht wird (Kostrzewski et al., 2015). Über diesem liegt der braune Vistula-Till der Weichsel-Kaltzeit (ca. 115.000 bis 11.700 Jahre vor heute), welcher nur geringmächtig und an vereinzelten Abschnitten des Kliffs aufgeschlossen ist. Die Gletscher-Ablagerungen werden von bis zu 40 m mächtigen Sanden bedeckt, die durch Schmelzwasserflüsse abgelagert wurden. Diese wiederum werden von 2 bis 15 m mächtigen äolischen Deckschichten überlagert, also Sedimenten, die durch Wind hierher transportiert wurden (Borówka et al. 1982).

Für besonders Interessierte

Abb. 4: Grenzen der pleistozänen Hauptvereisungen in Polen: Sanische Vereisung (S), Odra-Vereisung (O), Warta-Vereisung (W), Vistula-Vereisung mit mehreren Phasen: Leszno-Vereisung (L), Poznan-Vereisung (Pz), Pommern-Vereisung (Pm) (verändert und übersetzt nach Marks 2004).
Abb. 5 Graphisches Schichtenprofil des Kliffs nahe Misdroy auf der Insel Wollin (Ostseeseite) mit den Entwicklungsphasen der einzelnen Abschnitte in der Sedimentsequenz; Detailansichten von A und B in Abb. 6 (verändert nach Gehrmann et al., 2014).
Abb. 6 Detailansichten A und B mit entsprechenden graphischen Schichtenprofilen des Kliffs nahe Misdroy auf der Insel Wollin (Ostseeseite), assoziiertes Gesamtprofil in Abb. 5 (verändert nach Gehrmann et al., 2014).

Polens Küste enthält eine Vielzahl von Landschaftsformen und Sedimenten: von pleistozänen Moränen über holozäne Dünen bis hin zu Seen im Hinterland (Kostrzewski & Zwolinski, 1986; 1988).  Anhand bestimmter glazigener Landschaftsformen können allgemein vier Haupteisvorstöße in Polen rekonstruiert werden (Abb. 4; Marks, 2004). Die südlichste Grenze pleistozäner Eisausdehnung in Polen stammt aus dem Elster-Glazial vor 400.000 bis 320.000 Jahren (Sanische Vereisung II; Marks, 2004). Das Eis erreichte zu dieser Zeit die Karpaten und die Sudeten (Marks, 2004). Im Südwesten Polens wurde diese Eisrandlage vom Odra-Eisschild überfahren, der sich dem Saale-Komplex vor 300.000 bis 126.000 Jahren zuordnen lässt. Ebenfalls im Saale-Komplex rückte das Eis der Warta-Vereisung vor (vgl. Baraniecka, 1971). Nach einer längeren Warmzeit (Eem-Interglazial, 126.000 – 115.000 Jahre vor heute), folgte die Vistula-Vereisung, untergliedert in drei Vereisungsphasen (Leszno, Poznan, Pommern), und leitete die sogenannte nordpolnische Vereisung ein.  Durch mehrere diamikte Einheiten (z.B. Till), die verschiedene Eisvorstöße kennzeichnen können, wurden die Eem-zeitlichen Sedimente bedeckt. In der Leszno-Phase erreichte das Eis in Westpolen seine maximale Ausbreitung. Diese und die Poznan-Phase werden dem letzten glazialen Maximum (LGM) zugeordnet. Die Gletscherloben im polnischen Gebiet am Südrand des Skandinavischen Eisschildes wurden zum Teil als sehr schnell vorstoßende Auslassgletscher beschrieben (Marks, 2004).

 

 

Die Insel Wollin ist geprägt von verschiedenen morphologischen Strukturen, die glazialen, glazifluviatilen, fluviatilen und marinen Ursprungs sind. Des Weiteren prägen Dünen und äolische Sedimente das Bild der Insel. Die charakteristischen Wolliner Berge repräsentieren die 60 m hohe Wollin-Endmoräne, welche sich von Misdroy,

und Lubin über Świętouść zieht. Laut Borowka et al. (2000) bildet sie eine der jüngsten Randzonen der letzten polnischen Vereisungen, welche sich zwischen 15.500 bis 14.200 Jahren vor heute gebildet hat. Sie formt eine nach Osten geöffneten bogenförmigen Rückenstruktur (Ruszczyńska-Szenajch, 1999).

 

Die Sedimentabfolge am Kliff von Gosań bei Misdroy (Międzyzdroje, Ostseeküste) beginnt mit kretazischen Mergeln, welche glazitektonisch mit den quartären Einheiten verschuppt wurden (Borowka et al., 2000). Darüber folgen grau-braune diamikte Abfolgen, überlagert von einer Serie aus Beckensanden (Abb. 5 und 6, Borowka et al., 1999, Gehrmann et al., 2014). Darin liegen mit organischem Material und Kiesanteil durchsetzte sandig-siltige Abfolgen. Diese werden nahe der Oberkante des Kliffs von braunem Diamikton bedeckt (Abb. 5 und 6, Gehrmann et al., 2014). Überlagert wird die gesamte Sequenz von äolischen (?) Sanden mit zwischengeschalteten Paläoböden.

 

Es gibt zwei Entstehungstheorien für das Gebiet der Wolliner Berge:

 

  1. Hartnack (1926), Zynda (1962), Bryl (1972) und Borowka et al. (1982) behaupten, dass die Wolliner Berge einen glazitektonischen Überschiebungskomplex repräsentieren.

  2. Krygowska & Krygowski (1965), Krygowski (1967) und Ruszala et al. (1979) sehen diese Strukturen als Kame-Plateaus. Darunter versteht man in diesem Gebiet prä-vistulische glazigene Strukturen, welche von glazifluviatilen Sedimenten überlagert werden.

 

Die Schlussfolgerung von Borowka et al. (2000), dass die jüngste Sedimentabfolge eine spätglaziale äolische Bedeckung darstellt, zeigt, dass es sich um junge glazitektonische Bildungen handeln muss. Das steht im Widerspruch zur Theorie der Kame-Plateaus.


Schriftenverzeichnis

Baraniecka, M.D. (1971): The Widawka drainage basin as part of the marginal area of the Mazovian-Podlasie (Warta). Stadial in Poland. - Biuletyn Instytutu Geologicznego: 11–36.

Borówka, R. K., Gonera, P., Kostrzewski, A., Zwoliński, Zb., (1982): Origin, age and paleogeographic significance of cover sands in the Wolin end moraine area, North-West Poland. Quaestiones Geographicae 8, 19–36.

Borówka, R. K., Goslar, T., Pazdur, A., (1999): Wolin End Moraine: age of glacitectonic structures in the light of lithostratigraphic data and radio-carbon dating. – In: R. K. Borówka, Z. Młynarczyk, A. Wojciechowski (eds.): Ewolucja geosystemów nadmorskich południowego Bałtyku. Bogucki Wydawnictwo Naukowe, Poznań-Szczecin, 43–47.

Borówka, K., Goslar, T. & Pazdur A. (2000): Age of Glaciotectonic Structures on the Wolin island in the light of lithostratigraphic data radiocarbon dating. Journal on methods and applications of absolute chronology. - Geochrometria: 35–40.

Bryl, A. (1972): Spostrzezenia nad zaburzeniami w glinie morenowej klifu morskiego w Grodnie na Wolinie [Remarks about disturbances within glacial till building the marine cliff in Grodno, Wolin Island]. – Badania Fizjograficzne nad Polska Zachodnia: 61–73.

Gehrmann, A., Lenk, J., Rother, H. (2014): Middle and Upper Pleistocene glacial deposits on Wolin Island (NW Poland) – New results from mapping coastal cliff sections east of Międzyzdroje. – Joint Conference GeoFrankfurt 2015 Earth System Dynamics, 21.09.-24.09.2014, Frankfurt.

Hartnack, W. (1926): Die Küste Hinterpommerns unter besonderer Berücksichtigung der Morphologie. Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft Greifswald 43/44, II Beiheft:1-324.

Kostrzewski, A., (1985): Variation in the particle-size distribution and degree of sand grain abrasion in morainic till of the Wolin Island, NW Poland. Quaternary Studies in Poland 6, 83–97.

Kostrzewski, A., Zwoliński, Zb. (1986): Operation and morphologic effects of present-day morphogenetics processes modelling the cliffed coast of Wolin Island, N.W. Poland. In V.Gardiner (Ed.), International Geomorphology 1986, John Wiley and Sons, Pt 1, 1231– 1252.

Kostrzewski, A., Zwoliński, Zb. (1988): Morphodynamics of the cliffed coast, Wolin Island. Geographia Polonica 55, 69–81.

Kostrzewski, A., Zwoliński, Z., Winowski, M., Tylkowski, J., Samołyk, M. (2015): Cliff top recession rate and cliff hazards for the sea coast of Wolin Island (Southern Baltic). Baltica 28(2), 109-120.

Krygowski, B., (1959): O związkach rzeźby dzisiejszej powierzchni ze strukturą podłoża na Pomorzu Szczecińskim [About connections of contemporary relief with the base structure of Szczecin Pomerania]. Zeszyty Naukowe Uniwersytetu im. Adama Mickiewicza, Geografia 2, 69–86.

Krygowska, L. & Krygowski B. (1965): Kilka spostrzezen dotyczacych struktury klifu w Grodnie na Wolinie [Remarks about geological structure of cliff at Grodno, Wolin Island]. – Badania Fizjograficzne nad Polska Zachodnia: 167–170.

Krygowski B. (1967): Wazniejsze problemy plejstocenu Polski Zachodniej [Main problem of West Poland Pleistocene]. – Czwartorzęd Polski, 167–205, Warszawa.

Marks, L. (2004): Pleistocene glacial limits in Poland. – In: Ehlers, J. and P.L. Gibbard, P.L. (eds.): Quaternary Glaciations — Extents and Chronology, 295–300 (Elsevier).

Ruszczyńska-Szenajch, H. (1999): Direction of the last ice sheet advance in the polish Baltic coast recorded by glaciotectonic structures and landforms. - Quaternary Studies in Poland, 195–202.

Subotowicz, W., (1982): Litodynamika brzegów klifowych wybrzeża Polski [Lithodynamics of Polish cliff-coast]. Gdańskie Towarzystwo Naukowe, Ossolineum, Wrocław, 150 pp.

Zynda, S. (1962): Byniki wstepnych badan nad morena czolowa wyspy Wolin [Results of preliminary investigations of end moraine of Wolin island]. - Badania Fizjograficzne nad Polska

Zachodnia: 159–168.